Marienverehrung im Alltag

Schicksalsschläge einstecken können


Warum liegt vielen von uns die Marienverehrung so nahe? Unter anderem deshalb, weil wir in Maria eine Fürsprecherin bei Gott sehen, die unsere Nöte kennt und versteht, nicht zuletzt, weil sie selbst etliche Schicksalsschläge erfahren und einstecken musste. Gefühle der Hilflosigkeit und des Mitleids sind Brücken, die uns mit Maria verbinden. Der Blick auf sie, die ihr Kind in einem Stall zur Welt bringt (vgl. Lk 2,7), die mit dem Kleinen in ein fremdes Land flüchten muss (vgl. Mt 2,14), die ihren vermissten Sohn in der Großstadt tagelang sucht (vgl. Lk 2,45), die fassungslos zusehen muss, wie er ungerecht angeklagt, verurteilt, ans Kreuz geschlagen wird und stirbt - dieser Blick schafft Nähe und Solidarität. Ein natürlicher Wunsch des Menschen ist es, möglichst unproblematisch, spannungslos und unbesorgt zu leben. Jedoch diese Art des Lebens ist in unserem Alltag bekanntlich nicht erreichbar. Daher bleibt uns nur der eine Weg: Zu lernen, wie man mit den Schicksalsschlägen fertig wird. Eine mögliche Hilfestellung im Umgang mit den Schwierigkeiten des Lebens bietet uns die Mutter Jesu an. Wie meistert sie die Herausforderungen des Lebens? Indem sie den Blick von ihrer eigenen Not, Sorge oder Überforderung auf die Not, Sorge oder Überforderung der ihr Anvertrauten umlenkt. Als sie von ihrem Mann aufgefordert wird mit ihm und dem Kleinen nach Ägypten zu fliehen, so schaut sie nicht darauf wie diese Reise für sie selbst unbequem sein wird, sondern sie teilt die Sorge ihres Mannes um das Überleben ihres Kindes.

Aus der geteilten Sorge entsteht nämlich ein Auftrag, eine Sendung, eine Pflicht, deren Ziel ist es gemeinsam solche Maßnahmen zu treffen, durch welche alle Beteiligten eine angemessene Entlastung erfahren. Es ist kein zukunftsfähiges Miteinander, wenn ich der Meinung bin, dass nur die Verantwortlichen Kummer und Sorgen zu tragen haben, während ich im Schatten dieser Verantwortungsträger Deckung suche und sorglos meinen eigenen Interessen nachgehe, egal ob in der eigenen Familie, in der eigenen Ordensgemeinschaft oder auf dem Arbeitsplatz. Ein anderes Bild aus dem Leben Mariens ist die Leidensgeschichte Jesu, die für ihn tödlich endet. Für Maria ist es bestimmt ein schwerer Schicksalsschlag, wenn sie ihren Sohn in voller Kraft des Lebens muss sterben sehen. Die christliche Tradition vermutet nämlich Maria bei den Ereignissen der Verurteilung und der Kreuzigung Jesu. Der Evangelist Johannes berichtet von der Mutter Jesu unter dem Kreuz (vgl. Joh 19,25-27). Es wird jedoch nicht berichtet, wie Maria auf das, was sich dort abgespielt hat, reagierte. Lautes Weinen, verzweifeltes Flehen, eindringliche Protestrufe oder unbeantwortete Fragen, die Maria gestellt haben mag, werden in der Leidensgeschichte nicht erwähnt. Bei solchen oder ähnlichen Schicksalsschlägen bleibt dem betroffenen Menschen nur ein riesiges mit einer Mauer der Stille umhülltes "WARUM?", auf das er vielleicht ein Leben lang zumindest eine überzeugende Antwort suchen wird. Maria hat jedoch ein Mittel, mit dem sie ihrem tiefen inneren Schmerz entgegenwirkt: den Glauben. Und sie sucht in ihren Erinnerungen nach jenen Worten Jesu, in denen er für sie weiter lebt, und in denen sie eine neue Aufgabe für sich entdeckt, um weiter in die Zukunft zu blicken: "Siehe, dein Sohn" (Joh 19,26). Und sie, die Mutter Jesu, nimmt auch seine Jünger als Söhne an und unterstützt sie in der von Jesus eingepfropften Hoffnung (vgl. Apg 1,14).

Demnach kann ein Schicksalsschlag zum Quell einer neuen Inspiration und einer neuen Lebensperspektive werden. Im ersten Moment muss man ihn jedoch einstecken können. Dies hat Maria von Jesus gelernt, als sie ihn damals auch mit den Angehörigen, voll besorgt um seine Gesundheit, zurück nach Hause holen wollte. Sie hörte von ihm die Worte: "Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter" (vgl. Mk 3, 20-21.31-35). War das für die Mutter Jesu etwa nicht auch ein Schicksalsschlag als sie hören musste, dass Jesus auch andere "Mütter" hat? Im selben Moment vielleicht ja, aber nach der Auferstehung Jesu leuchtete die Bedeutung dieser Worte für sie in einem neuen Licht auf. Sie wurden plötzlich nicht mehr von vermeintlicher "Mutterkonkurrenz" belastet, sondern voll Leben, welches die Menschen im Geiste Jesu untereinander vernetzt, sodass sie füreinander Geschwister, Mütter und Väter  werden und sich so gegenseitig auf dem Lebensweg bestärken. Unter diesem Blickwinkel kann jeder Marienverehrer und jede Marienverehrerin die eigenen Schicksalsschläge betrachten, in dem Glauben, dass sie für mich nicht zum Schlusspunkt werden sollen, sondern zur Lebensfortsetzung mit einem neuen Inhalt.

fr. Fero M. Bachorík OSM